Wir können nicht schlafen wollen
Text: Mirjam Andres
Die Gedanken kreisen, wir wälzen uns hin und her und finden den Schlaf nicht. Dies liegt meist daran, dass wir den Schlaf aktiv suchen, statt uns vom Schlaf finden zu lassen, erklärt Dr. Björn Rasch, Professor für Psychologie sowie Schlaf- und Hypnoseforscher an der Universität Fribourg.
Angst und Schlaf vertragen sich nicht
«Angst und Schlaf sind zwei komplett entgegengesetzte Zustände», erklärt Björn Rasch. Das vegetative Nervensystem reguliert in unserem Körper Stresssituationen und Erholung. Wenn wir Angst haben, wird der Sympathikus aktiv: Der Blutdruck steigt, das Herz schlägt schneller, und die Muskeln spannen sich an. «Schlaf ist das Gegenteil. Die Herzfrequenz wird langsamer, wir atmen tiefer, und die Muskeln entspannen sich. Dafür sorgt der Parasympathikus.»
Es schläft uns ein
Wenn wir wach sind, hat der Verstand die Kontrolle: Wir planen, wir analysieren, wir sichern uns ab und können unsere Handlungen selbst steuern. «Im Schlaf ist der Alltagsverstand nicht mehr verfügbar. Wir verlieren das Bewusstsein. Wir lösen uns quasi auf.» Wachsein sei das Gegenteil davon, sich aufzulösen, sagt Björn Rasch. «Deshalb funktioniert es nicht, einschlafen zu wollen. Wenn ich etwas will, ist meine planerische Funktion aktiv. Diese kann ich nicht selbst abschalten. Vielmehr schläft es mich ein. Aber nur, wenn ich es zulasse, vertraue, geschehen lasse.»
Akzeptieren hilft
Björn Rasch empfiehlt, nicht zu schnell in Panik zu geraten, wenn man ein paar Nächte nicht gut geschlafen hat, sondern vorerst gelassen zu bleiben. Sonst bestehe Gefahr, in einen Teufelskreis zu geraten. «Es ist normal, dass wir vorübergehend schlecht schlafen, wenn wir ausserordentlich belastet sind. Ausserdem wachen wir auch in guten Nächten nachts 15- bis 25-mal kurz auf, auch junge Menschen», betont er. Den aktuellen Zustand zu akzeptieren und sich darauf einzustellen, könne helfen. (1)
Sich wach erholen
«Wir können uns auch wach erholen», regt Björn Rasch an. «Entspannt im Bett zu liegen, hat zwar nicht dieselbe Qualität wie Schlaf, aber es ist immer noch viel besser, als ängstlich wach zu liegen.» Denn unser Körper verbrauche viel Energie, wenn wir uns stressen. «Nutzen Sie die Wachzeit für Dinge, für die Sie im Alltag keine Zeit finden, zum Beispiel zum Meditieren.»
«Senile Bettflucht»
Seniorinnen und Senioren klagen häufig, dass sie zu früh aufwachen. Oft bestehe kein Grund zur Sorge, sagt Björn Rasch. «Die Schlafqualität sinkt mit dem Alter. Sie wachen zwar nicht häufiger auf als in jungen Jahren, aber länger. Dadurch bemerken Sie das Aufwachen eher und schlafen nicht mehr so schnell ein. Halten Sie an den alten Schlafgewohnheiten fest und gehen früh ins Bett, ist frühes Aufwachen völlig normal, weil Sie genügend geschlafen haben.»
Wie lebe ich?
«Wenn ich meinen Schlaf verbessern will – vorausgesetzt, es gibt keine anderen organischen Ursachen für meinen schlechten Schlaf–, muss ich mir auch mein Leben anschauen: Wie steht es mit meinen Beziehungen, habe ich Hobbys, bewege ich mich?», gibt Björn Rasch zu bedenken. «Wenn wir tagsüber regelmässig etwas unternehmen, Menschen treffen und uns bewegen, sind wir abends müder.» Dies gelte auch für das Abendprogramm. «Besser einmal für ein schönes Erlebnis spät ins Bett gehen, als nach den Hauptnachrichten im TV bereits schlafen zu gehen. Und dann ab vier Uhr morgens bereits wieder wach zu liegen.»
Wann soll ich mir Hilfe holen?
«Wenn Sie während ein bis drei Monaten mehr als dreimal pro Woche sehr schlecht schlafen und tagsüber deshalb starke Leistungseinbussen haben, handelt es sich um einen stark gestörten Schlaf, der behandelt werden sollte. Fachpersonen sprechen dann von einer Insomnie.» (2) Bei den betroffenen Personen ist der Erregungszustand so extrem, dass sie kaum noch einschlafen oder durchschlafen können. Auf Dauer sind sie körperlich erschöpft, und die schlaf losen Nächte schlagen ihnen auf das Gemüt. «Dies müssen wir unbedingt ernst nehmen und behandeln», betont Björn Rasch.