«Es gibt wirksamere Therapien als Schlafmittel»
36 Prozent der Frauen und 28 Prozent der Männer in der Schweiz über 40 haben mit Schlafstörungen zu kämpfen.1 Prof Dr. Raphaël Heinzer, Direktor des Zentrums für Schlafforschung am CHUV in Lausanne, und Prof. Dr. Konrad Ernst Bloch, stv. Direktor der Klinik für Pneumologie und Leiter des Zentrums für Schlafmedizin am Universitätsspital Zürich, nehmen Stellung zu Schlaflosigkeit, deren Ursachen und Therapiemöglichkeiten.2
Wann spricht man von Schlaflosigkeit?
R. Heinzer: Es ist von einer Insomnie die Rede, wenn eine Person regelmässig länger als 30 Minuten braucht, um einzuschlafen, oder mehrmals pro Nacht respektive zu früh am Morgen aufwacht und am nächsten Tag unter entsprechenden Folgen wie Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten etc. leidet. Spürt eine Person trotz wenig Schlaf tagsüber keine Einschränkungen, spricht man nicht a priori von Insomnie, denn es gibt auch Personen, die von Natur aus «Kurzschläfer» sind.
Welche Ursachen hat die Schlaflosigkeit?
R. Heinzer: Wir unterscheiden zwischen akuter und chronischer Insomnie. Bei akuter Insomnie sind die Schlafstörungen eine Reaktion auf einen Stressfaktor wie Probleme bei der Arbeit, ein Trauerfall oder Prüfungen. Von chronischer Schlaflosigkeit sprechen wir, wenn diese länger als drei Monate dauert. Sie kann durch externe Faktoren wie Lärm oder durch eine schlechte Schlafhygiene3 bedingt sein. Oft hat sie psychische Ursachen wie Ängste oder Depressionen, auch kann die akute Schlaflosigkeit chronisch werden. Und schliesslich sind auch körperliche Probleme wie Schmerzen oder chronische Krankheiten ein möglicher Störfaktor.
Wie steht es mit dem Phänomen der «senilen Bettflucht»?
R. Heinzer: Anders als Jugendliche gehen ältere Menschen in der Regel eher früh ins Bett und wachen deshalb früh auf. Zudem verändert sich die Schlafqualität: Ältere Menschen schlafen weniger tief und wachen häufiger auf. Muss das Hirn Neues lernen, braucht es den Tiefschlaf, um dies zu verarbeiten. Die Vermutung liegt nahe, dass das Hirn im Alter weniger stimuliert wird und weniger Schlaf braucht. Das häufigere Aufwachen ist vermutlich auch durch das alternde Hirn bedingt, hinzu kommen altersbedingte Beschwerden.
Wie kann eine chronische Krankheit wie COPD den Schlaf beeinflussen?
K. Bloch: Chronische Krankheiten können den Schlaf durch Schmerzen, nächtliche Atemnot oder häufiges Wasserlösen – bei Herzinsuffizienz oder Prostataleiden – stören. Bei COPD oder Asthma können Atemnotattacken die Betroffenen wecken. Einige Patienten mit COPD atmen während des Schlafes sehr oberflächlich, was zu einem verminderten Sauerstoffgehalt und einem Anstieg des Kohlendioxids im Blut führt und die Schlafqualität mindert. Auch durch die Krankheit bedingte Sorgen können Schlaflosigkeit oder eine schlechte Schlafqualität begünstigen.
Wie wirken sich Medikamente auf den Schlaf aus?
K. Bloch: Bronchodilatatoren zur Behandlung von COPD und Asthmakönnen zu Herzklopfen führen und so das Einschlafen erschweren. Diuretika bei Herzinsuffizienz können zuhäufigem Wasserlösen führen. Schlaf sowie gewisse Schmerzmittel können die Atmung beeinträchtigen und Schlafapnoe begünstigen.
Stichwort Schlafmittel: 6,4 Prozent der Frauen und 4,2 Prozent der Männer nehmen Schlafmittel.4
R. Heinzer: Schlafmittel sollten nur während einer kurzen Zeitspanne von maximal 14 Tagen eingenommen werden. Sind die Schlafstörungen bis dahin nicht verschwunden, gibt es andere, wirksamere Therapien.
Die wären?
R. Heinzer: Am häufigsten wird eine kognitive Verhaltenstherapie vorgeschlagen. Neben der Schlafhygiene arbeiten wir dabei vor allem an der Einstellung zum Schlaf. Betroffene fürchten sich oft vor dem Zubettgehen und denken zu viel über die Auswirkungen des schlechten Schlafs nach – ein Teufelskreis. Während der Therapie werden sie gebeten, ihren Schlaf auf eine kürzere Zeitspanne zu konzentrieren, sodass sie nur eine relativ kurze Zeit im Bett verbringen. Sie sind dann zwar tagsüber sehr müde; da das Schlafengehen hinausgezögert wird, beginnen sie jedoch, sich darauf zu freuen. So können sie den Teufelskreis durchbrechen und dann in einem zweiten Schritt die Liegezeit leicht verlängern, bis sie tagsüber nicht mehr müde sind.
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1. Die Zahlen stammen aus der Studie CoLaus. www.colaus-psycolaus.ch
2. Die Interviews wurden getrennt geführt.
3. Tipps zur Schlafhygiene finden Sie hier.
4. Haba-Rubio, J. et al. (2016). Prevalence and Determinants of Periodic Limb Movements in the General Population. Annals of Neurology, 79, S. 464–474. Die genannten Zahlen stammen aus dieser Studie, wurden jedoch nicht publiziert.